„Ich will Erste sein!“
Nina, noch keine vier Jahre alt, treibt dieses Spiel bis zum Exzess: beim Anziehen, beim Spielen mit anderen Kindern, beim Einsteigen ins Auto. Gelingt es ihr einmal nicht, kommt es zu regelrechten Ausbrüchen, sie fängt wütend an zu schreien oder zu heulen. Als es neulich an der Tür läutete und die Mutter ihr „IIIIIch will aufmachen!“ ignorierte, wurde sie von Nina vor ihrer Nachbarin fürchterlich angeschrien.
Ermahnungen und gutes Zureden verstärken oft den Widerstand
Wenn die Mutter sagt: „Nina, das Leben ist kein Wettrennen. Du musst nicht immer Erste sein“ wird sie nur noch wütender. Soll die Mutter einfach abwarten, bis dieser Tick wieder vergeht? Gewähren lassen bedeutet für das Kind Zustimmung - besonders dann, wenn es mit seiner Strategie erfolgreich ist. Wie kann die Mutter nun ihrer Tochter dieses schlechte Verhalten abgewöhnen?
Offensichtlich hat dieses Kind ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis. Das hat auch sein Gutes. Bevor wir anfangen, ein Kind zu kritisieren oder „Sei nicht so“-Botschaften zu senden, müssen wir zuerst das Gute am Schlechten erkennen und dem Kind gegenüber würdigen: „Nina, ich finde es toll, dass du so flink bist.“ Dann gilt es, ihre Gefühle ernst zu nehmen und dies auch zu sagen, um Nina zu helfen, damit klar zu kommen: „Ich glaube, dir ist es ganz wichtig, gut zu sein. Ich weiß, Erste zu sein ist ein wunderbares Gefühl.“ Erst wenn die Mutter Verständnis zeigt, ist Nina in der Lage, Ermahnungen und kluge Worte anzunehmen. Ansonsten wirken sie wie Blockaden und stärken noch den emotionalen Widerstand, weil sich das Kind unverstanden und abgelehnt fühlt.
Nur wenn ich mich geliebt und verstanden fühle, bin ich bereit, Kritik anzunehmen.
Das ist bei uns Erwachsenen auch nicht anders. Worte wie diese können Nina helfen: „Ich weiß, es fällt dir schwer, zu warten und auch einmal Andreas zuerst ins Auto einsteigen zu lassen. Aber weißt du, (Verständnis für das andere Kind erwecken) er will auch einmal erster sein und außerdem: das Leben ist kein Wettrennen.“ Die Mutter könnte Nina fragen, was für sie eigentlich so schlimm daran ist, zu warten und manchmal auch anderen den Vortritt zu lassen. Helfen kann auch etwas liebevoller Humor, aber bitte ohne Ironie und Zynismus. So lernt Ihr Kind, sich selber nicht zu ernst zu nehmen und Dinge zu relativieren. Wenn Sie gemeinsam auch noch Regeln finden, die für ähnliche Situationen gelten, brauchen Sie nicht jedes Mal Grundsatzdebatten klären, wenn es gilt, rasch zu handeln.
Wichtig sind auch Nachbesprechungen, bei denen Sie mehr auf Ninas Fortschritte als auf ihre Schwächen schauen und diese auch würdigen. Wenn das Kind positives Feedback, vor allem auch bei spontanen Anlässen, bekommt, ist sein wichtigstes Bedürfnis, Hunger nach Anerkennung, auf gute Weise gestillt und es kann auf übertriebene „Ich-bin-Erste!“ Inszenierungen verzichten.
Erwachsene sollten zu erwartende Schwierigkeiten im Vorfeld abfangen. Wenn es z.B. wieder an der Tür läutet, könnte sich die Mutter zuerst kurz an Nina wenden und wertschätzend sagen: „Es läutet und ich möchte selber aufmachen. Ist das OK für dich?“ Finden Sie gemeinsam Lösungen, die dem Geltungsbedürfnis der jungen Dame, aber auch der Notwendigkeit des Abgrenzens Rechnung tragen. Dann wird Nina lernen, manchmal auch anderen den Vortritt zu lassen – und sich dabei gut zu fühlen.
Mag. Maria Neuberger-Schmidt - www.elternwerkstatt.at